bitte verzeiht, dass der Bericht so lang ist, aber er soll vor allem Eltern und Jugendliche (hoffentlich) informieren.
Ich bin neu in dem Forum und glaube, ich werde hier Stammgast.

Ich bin 29 und habe eine stark ausgeprägte Skoliose. Die letzte Röntgenaufnahme ist bereits über 10 Jahre alt, da waren es, glaube ich, lumbal ca. 87 °, thorokal ca. 68 ° (bin mir aber nicht sicher, da ich die Grade die ganze Zeit erfolgreich verdrängt habe).
Jetzt machen sich bei mir relativ starke Rückenbeschwerden bemerkbar, sonst bin ich nahezu beschwerdefrei.
Vielleicht erzähle ich meine Geschichte mal von Anfang an.
Als ich sechs war, wurde zum erstenmal eine leichte Skoliose diagnostiziert, die sich aber schnell verschlechterte. Mit neun Jahren bekam ich mein erstes Korsett in Zürich (ich wohne schon seit meiner Geburt im Raum München), ein Milwaukee-Korsett mit Halsstütze. Ich habe es von Anfang an 10 Tage getragen - NONSTOP!!! Ich war da in einer Klinik und bin sehr viel gelegen.
Dank meiner Mutter, einer sehr lieben Bettnachbarin (2 Jahre älter als ich) und zwei sehr netten Kinderkrankenschwestern habe ich trotzdem vorwiegend schöne Erinnerungen an den Krankenhausaufenthalt. Aber bzgl. der Korsettbeschwerden und Heimweh soll ich ziemlich geklagt haben.
Als ich wieder in der Schule war, hat meine Mutter meiner Klasse das Korsett erklärt. Meine Schulkameradinnen haben sich vor Sportstunden fast darum gerissen, mein Korsett mit dem Schraubenzieher zu öffnen.

Ich war sehr glücklich, als ich auf ein Cheneau-Korsett umsteigen konnte, da die Halsstütze wegfiel, ich glaube, ich war da 11 oder 12. Ich bekam dieses Korsett(s) in Rosenheim, das war als "Fast-Münchnerin" natürlich sehr viel angenehmer als Zürich, statt mehrstündiger Zugfahrt waren's "nur" noch 1,5 Stunden Auto-Fahrt.
Schlimmer waren die psychischen Begleiterscheinungen. Am schlimmsten war der Arzt, zu dem ich regelmäßig gegangen bin. Ich mochte ihn eigentlich sehr gern, aber er wollte mich immer operieren und dagegen haben meine Mutter und ich uns mit Händen und Füßen gesträubt.
In einem Befund heißt es in etwa: "Die Mutter will keine Operation für ihre Tochter. Ich sehe es als Selbstbestrafung an." Selbst mich als Kind hatte diese Bemerkung sehr getroffen.
Bei meinen ersten Korsetts ging ich stark nach vorne gebeugt. Der besagte Arzt sagte zu mir: "Du gehst wie ein altes Weib." Da war ich 11 oder 12.
Diese Bemerkung hat unglaublich weh getan. Meine Mutter hat diese Bemerkung auch ab und zu verwendet, um mich zum Turnen zu "motivieren". Sie meinte es gut, hatte einfach Angst um ihr geliebtes Töchterchen.
Meine unerbittliche Mutter ließ mich in meiner Kindheit das Korsett nur zum
Baden und zur Gymnastik ausziehen, teilweise habe ich es sogar beim
Schulsport getragen (heute sage ich DANKE!). Als ich 13 war, nahm ich nicht mehr am Schulsport teil, weil die Skoliose so schlecht geworden ist.
Leider ließen Mutter und ich die tägliche Gymnastik schleifen, bis wir sie nicht mehr machten (es gab regelrechte Kämpfe zwischen uns), so dass die Wirbelsäule mit 14 richtig schlecht wurde.
Ich ließ Rosenheim Rosenheim sein und wechselte nach Stuttgart zu Rahmouni, damit verließ ich auch endgültig den besagten Arzt. Ich ging außerdem einmal wöchentlich zur Krankengymnastik, wo für eine ganze Stunde nach Schroth geturnt wurde - etwa 12 Jahre lang! Zuhause turnte ich leider nur sehr sporadisch, vielleicht alle drei oder vier Wochen (liebe Leute, das war ein Fehler).
Mit 10 und mit 16 Jahren war ich in Bad Sobernheim, beide Male mit intensiver Begleitung durch meine Mutter, die mich nie aus den Augen gelassen hat (aber mit 16 habe ich die Übungen in der freien Zeit während der "Kur" freiwillig gemacht - ich war eine der Fleißigsten!).
Als ich mit 14 zu Rahmouni kam, war es, als wäre die Sonne aufgegangen
(Entschuldigung, wenn das jetzt pathetisch klingt), aber da gab's keine
demotivierenden Bemerkungen mehr, die Atmosphäre war freundlich und voller Hoffnung, kein Mensch redete mehr von einer OP und, und, und.
Die Termine bei ihm waren körperlich äußerst anstrengend, die Zugfahrt war für mich als Kind doch sehr lang (insgesamt knapp 3 Stunden einfach, dazu 2 Stunden außerhalb der Hauptbahnhöfe München und Stuttgart).
Ich musste auch immer sehr lange bei Rahmouni bleiben, weil den ganzen Tag am Korsett rumgebastelt wurde, aber die Atmosphäre bei ihm war immer sehr warm.
Unheimlich schön war es, als ich dank Rahmouni zum erstenmal ein Korsett bekam, das ich selber öffnen und schließen konnte; statt Metallbügel nun Klettbänder mit motivierenden roten Strichen, die ich in meinem Ehrgeiz ab und zu "überschritt".
Ich habe die Rahmouni-Korsetts bis zum 18. Lebenjahr Tag und Nacht getragen, dann innerhalb eines Jahres bis zum endgültigen Ablegen immer seltener. Seit dem 19. Lebensjahr bin ich "korsettfrei", aber wohl nicht für immer.
Beim Rahmouni-Korsett wurde die nach vorn gebeugte Haltung auch wesentlich besser, was für mich psychisch sehr reinigend war, ich hatte endlich eine normalere Haltung. Die Korsetts von Rahmouni waren die "grausamsten", aber ich gewöhnte mich innerhalb von einer Woche an den Druck und irgendwie konnte ich in ihnen auch besser und freier atmen als in den vorigen Korsetts.
Ich bin immer mit dem Rahmouni-Korsett am Körper heimgefahren (natürlich mit Mami als Stütze), meine Beine schliefen ein dank eingeklemmter Nerven, ich war vollkommen erschöpft durch den Druck des Korsetts und den Stress, manchmal war der Zug überfüllt, bei sommerlicher Hitze und Berufsverkehr schrecklich.
Eine Verbesserung in den Graden erzielte ich nur geringfügig, denn ich habe zu wenig geturnt.
Der Aufwand mit Rahmouni-Korsetts und der Schroth-Krankengymnastik hat trotzdem sehr viel gebracht. Ich konnte die Skoliose halten, ich hatte kaum Beschwerden (die allerdings jetzt wegen Turnfaulheit zunehmen), ansonsten vermutete man bei meinem Rücken nicht, dass da drinnen so viele Grade steckten. Es hat sich also volkommen gelohnt und ich würde es wieder so machen.
ABER ich würde früher zu Rahmouni gehen und mehr turnen! Und meine Mutter hätte mich vielleicht öfter positiv motivieren sollen (aber ob es was genützt hätte, kann man nicht sagen). Gut war es, dass sie bzgl. des Tragens des Korsetts so gnadenlos war - es ist eine Investition für das gesamte Leben!
Jetzt wird eine gründliche Durchcheckung meiner Wirbelsäule dringend notwendig, da ich leider das falsche Wissen hatte, eine erwachsene Skoliose weniger ernst nehmen zu müssen. Bei den massiven Graden, die zuletzt berechnet wurden, habe ich jetzt natürlich Kummer, wie meine WS jetzt aussieht.
Übrigens, vor etwa vier Jahren haben meine Mutter und ich den oben erwähnten Arzt nach vielen Jahren wieder mal besucht, zuhause, da er inzwischen in Pension war.
Er hat mich sehr herzlich begrüßt und dann war er begeistert, wie gut ich
meine Skoliose gehalten hatte. Er würde allerdings nach wie vor zu seinem damaligen Ratschlag für eine OP stehen, aber nach meiner äußerlichen Körperhaltung und meiner Vitalität zu urteilen sei die Entscheidung gegen die OP AUCH richtig gewesen.

(Anmerkung: Ich finde es nicht gut, ein Kind mit 13 oder 14 zu operieren, weil es ja noch wächst.)
Liebe Grüße,
Dalia