Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

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Thomas
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Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von Thomas »

Was ist das Hessingkorsett? Und warum widme ich ihm einen eigenen Artikel?

Da ich mich Orthopädiegeschichte schon lange interessiert stieß ich beim Stöbern im Internet in Wikipedia auf folgenden Artikel:
Wikipedia hat geschrieben:„Das Hessingkorsett ist ein orthopädisches Korsett, das im 19. Jahrhundert von Friedrich Hessing entwickelt wurde. Es ist auf einem Beckenkammbügel aufgebaut und besteht aus gepolsterten Stahlschienen, die durch Hals- und Armstützen ergänzt werden können. Das Korsett wurde zur Korrektur von Wirbelsäulendeformitäten (vgl. Kyphose, Skoliose) eingesetzt.
Der Literat Max Brod beschrieb seine Kyphoseerkrankung und die persönlichen Erfahrungen mit der Korsettbehandlung seiner Kindheit in einem autobiographischen Roman“.
Und das Bild zum Artikel war folgendes:

Hessingkorsett_kl2jpg.jpg
Hessingkorsett_kl2jpg.jpg (17.44 KiB) 7797 mal betrachtet

Was mich an dem Artikel in Wikipedia besonders faszinierte war der Verweis auf Max Brod, der an einer starken Hyperkyphose litt, und der praktisch aus erster Hand berichtet, wie sich die Versorgung mit dem Hessingkorsett um ca. 1890 abspielte und wie seine Erfahrungen mit dem Korsett waren. Am Ende dieses Artikels hier zitiere ich in einem Auszug die betreffenden Passagen aus seiner Biographie.

Aber zuerst mal zur Geschichte und Technik des Hessingkorsetts:

Das Hessingkorsett ist praktisch der Vater aller unserer modernen orthopädischen Korsetts, seien es Kyphose-Korsetts, Skloiiose-Korsetts, oder andere Korsetts zur Behandlung von Wirbelsäulenkrankheiten. Zumindest was es den deutschsprachigen Raum angeht.

Hessing war einer der ersten, der erkannte, dass eine gute Beckeneinfassung das A und O eines guten und gut korrigierenden orthopädischen Korsetts darstellt. Daher und auf Grund seiner Erfolge bei der Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen diente das Hessingkorsett über Jahrzehnte praktisch als Standard-Korsett für die Behandlung der Skoliose, Hyperkyphose und weiterer Wirbelsäulenerkrankungen wie z.B. die Entzündungen an der Wirbelsäule (Spondolytis). Es wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt, wurde aber bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts mit leichten Anpassungen gebaut.

Da mich nach der Lektüre des Buches von Max Brod die Wirkungsweise des Korsetts interessierte habe ich etwas weitergeforscht und bin dabei auf folgendes Buch gestoßen:

A.Schanz: Handbuch der orthopädischen Technik, 1.Auflage 1908, Verlag Gustav Fischer, Jena

Das Buch wurde erstmals 1908 veröffentlich, 1923 erschien es in einer zweiten Auflage. Unter dem obenstehenden Link kann das Buch in der ersten Auflage bei Google Books für 3,64 Euro heruntergeladen werden.

Ich will aus diesem Buch ein paar Passagen zitieren, um zu zeigen, wie weit entwickelt das Korsett zu seiner Zeit schon war. Der Autor des Buches Dr. Alfred Schanz war selbst ein bekannter Arzt und Orthopäde, im Gegensatz zu Friedrich Hessing, der eigentlich Schreiner gelernt hatte und eine eigene Firma für Orgelbau gegründet hatte. Der Werdegang Hessings kann auf Wikipedia gut nachverfolgt werden. Schanz entwickelte selbst orthopädische Apperate, die er auch in seinem Buch beschrieb, oft auf Basis der orthopädischen Apparate von Hessing.

In der zweiten Auflage von 1923 (der hier verwendete Text und die Abbildungen sind praktisch unverändert aus der ersten Auflage von 1908 übernommen) findet man ab Seite 130 den folgenden Text:
Aus: A.Schanz, Handbuch der orthopädischen Technik, Gustav Fischer Verlag, Jena, 1923, Seite 130 ff

„Der … eingeschlagene Weg … hat zu noch besseren Resultaten geführt in dem Hessingschen Hüftbügelkorsett. Dieses Korsett wird in der modernen orthopädischen Technik ganz besonders geschätzt. Mit Recht, denn in der Tat bedeutet dieses Korsett den höchsten bisher erreichten Grad der Entwicklung der orthopädischen Technik in der Ausarbeitung des Drellstahlschienenkorsetts.

Auch das Hessingsche Korsett besteht aus einem Drellleibchen und aus Stahlschienen. Das Drellleibchen ist ähnlich gearbeitet wie ein Leibchen sonst in den orthopädischen Korsetten; nur an einer Stelle pflegt man in demselben eine Modifikation anzubringen. Man versieht den über der Hüfte liegenden Teil des Leibchens mit einem Ausschnitt, in dem man eine Schnürung hineingibt. Der Zweck dieser Modifikation ist der, den Sitz des Hüftbügels auf dem Darmbeinkamm beeinflussen zu können.

… Schienen haben wir zweierlei verschiedene: erstens wie in den anderen Korsetten an Rücken und Seiten des Korsetts Längsschienen; und zwar pflegen wir in die Rückenteile auf jeder eine Längsschiene, in die Seitenteile je zwei Längsschienen zu legen. Die letzteren beiden tragen an ihrem oberen Ende eine Armkrücke. Außer diesen Längsschienen haben wir im Hessingschen Korsett eine Schiene mit ganz wesentlich anderem Verlauf: den sogenannten Hüftbügel. Diese Schiene dient dazu, dem Korsett einen festen Stützpunkt auf dem Darmbein zu verschaffen und das Becken so zu fassen, daß auch eine rotierende Verschiebung des Korsetts auf dem Körper unmöglich gemacht wird. Dieser Hüftbügel ist die charakteristische Eigentümlichkeit des Hessingschen Korsetts.

Als Verschlußmittel des Hessingschen Korsetts benutzt man eine auf die Vorderseite gelegte Schnürung; in den Rückenteil kann man eine Stellschnürung legen, wenn man eine ausgiebigere Verstellbarkeit des Korsetts erlangen will. Man verliert aber dabei einen Teil der Fixationskraft des ganzen Apparates.

Als weniger wichtige Beigaben zu dem Korsett sind noch erwähnenswert der Bauchgurt, mit dem man die vorderen Enden der Hüftbügel miteinander verbindet. Mit Hilfe dieses Gurtes kann man die Bügel fest über das Becken einpressen, ohne dass man die ganze Schnürung des Korsetts entsprechend anziehen muss.“
Hier noch einige Bilder zum Original Hessingkorsett. Grundlage für jedes Korsett ist wie oben beschrieben zuerst einmal der Rahmen, von der Seite gesehen:

Hessing_00_kl2.jpg
Hessing_00_kl2.jpg (14.2 KiB) 7797 mal betrachtet

Zusammen mit dem ‚Drellleibchen‘ ergibt sich dann das Gesamtbild:

Hessing_09_kl2.JPG
Hessing_09_kl2.JPG (80.17 KiB) 7797 mal betrachtet

Hessing baute - ebenso wie beim heute in den USA und den südamerikanischen Ländern noch gelegentlich verwendeten Milwaukee-Korsett - an seine Korsetts auch Kopfteile an, um gerade bei hochliegenden Kyphosen und Skoliosen eine bessere Korrektur zu erreichen. Schanz geht auch auf diese Teile ein und beschreibt sie ausführlich in seinem Buch. Max Brod hatte übrigens auch so ein Teil an Seinem Korsett für die Behandlung seiner Kyphose, wie er in seinem Buch beschreibt.

Ab Seite 225 der Ausgabe von 1923 findet man dazu:
Aus: A.Schanz, Handbuch der orthopädischen Technik, Gustav Fischer Verlag, Jena, 1923, Seite 215 ff

„Großen Anklang hat in neuerer Zeit die Kopfhalterkonstruktion von Hessing gefunden: dieselbe ist durch vielfache Modifikationen noch brauchbarer und anpassungsfähiger geworden.

Die typische ursprüngliche Form von Hessing zeigen Fig. 405 und 406. Der Kopfring, der genau der Kopfform angepasst ist, ist zwar schmal, aber er legt sich nicht mit der scharfen oberen Kante, sondern mit seiner Innenfläche gegen den Kopf. Der Verschluß des Ringes ist durch ein Scharnier und einen einfachen Federklappenmechanismus hergestellt (Fig 407). Der innere Halbring legt sich mit seinem freien Ende federnd gegen das des äußeren und greift mit zwei kurzen Stiften in entsprechende Löcher. Dadurch, daß nicht nur zwei Löcher, sondern einige mehr angebracht sind, ist eine gewisse Verstellbarkeit des Kopfringes gegeben. Von dem Kopfring laufen vier runde Stäbe herunter bis in die Taillenhöhe. Sie sind der Hals- und Rumpfmuskulatur angepasst. Oben sind sie mit dem Kopfring vernietet, doch so, daß die Verbindungsstellen eine gewisse Beweglichkeit besitzen. Unten tragen sie Knöpfe. Zwischen diesen und zwischen Knöpfen, welche von vorn und hinten an den Armstützen angebracht sind, werden Gummizüge ausgespannt. Durch die Spannung dieser Züge wird der Kopfhalter in die Höhe gepreßt und damit die Extension und durch sie die Fixation erreicht. Damit durch die Spannung der Gummibänder die Tragstangen nicht abgespreizt werden, ist unten um dieselben, und zwar zwischen Stange und Gummizug durch, ein Schnallriemen gelegt, der wieder durch eine Anzahl von Schlaufen mit dem Korsett verbunden ist.

Der Vorteil, den diese Konstruktion bietet, ist die elastische Extension. Außerdem sind diese Apparate bis zu hohem Grade durch die Kleidung zu verdecken.

Der Apparat erlaubt auch bei straffer Spannung der Gummizüge noch etwas Kopfbewegungen. Das ist je nachdem ein Vorteil oder ein Nachteil.“


Hier einige Bilder von Hessings Korsett mit Kopfstütze und speziell vom Halsring:

Hessing_11_kl2.JPG
Hessing_11_kl2.JPG (47.23 KiB) 7797 mal betrachtet

Im Folgenden einige Änderungen und Verbesserungen von Schanz. Diese Korsetts samt Kopfteilen von 1908 kommen in ihrer Grundidee schon recht gut an unsere heutigen Korsetts mit Halsteilen heran.

Hessing_10_kl2.JPG
Hessing_10_kl2.JPG (38.23 KiB) 7797 mal betrachtet

So, das war’s erstmal zu den technischen Details zum Korsett, gehen wir jetzt zu den Textpassagen aus dem Buch von Max Brod:

Auf Seite 108 des bei Kindler Taschenbücher 1960 erstmals erschienen Bandes mit dem Titel: „Max Brod – Streitbares Leben – Autobiographie“ findet man die folgenden Absätze:
Aus: Max Brod, Streitbares Leben, Autobiographie, Kindler Taschenbücher, 1960, Seite 108f

„Es kam die Kyphose und bedrohte alles. Sie hätte, wenn man sie sich selbst überlassen hätte, mich zum unglücklichsten aller Menschen gemacht. Denn sobald ich zum Bewußtsein der Welt kam, dürstete ich nach Schönheit. Ich glaubte ein Recht auf sie zu haben. Habe auch die Frauen von ganzem unbändigem Herzen geliebt. – Und nun, ein Krüppel! Ewig von dieser kristallenen Quelle der Schönheit ausgeschlossen, ewig verbittert sein? Meine Mutter hatte es nicht nötig, so weit in die Zukunft vorauszublicken. Sie handelte aus ursprünglichem Gefühl. Ich durfte nicht anders, nicht schlechter sein als alle übrigen. Sie ließ es einfach nicht zu, sie legte sich mit ganzer Macht ins Zeug, sie machte das Unmögliche möglich. Der wackere Hausarzt erklärte das Übel für unheilbar. Immer entschiedener versank mein armer Hals zwischen den Schultern (auch dies ist auf Bildern, traurigen Bildern festgehalten). Was half es da, daß ich in allen übrigen Richtungen begabt, fast eine Art Wunderkind war. Gut, daß meine Mama sich nicht zufrieden gab. Sie entdeckte Hessing in Göggingen bei Augsburg, den genialen Schlosserlehrling, der es aus eigener Kraft, im Ansturm gegen die Schulwissenschaft zum Meisterorthopäden und Millionär gebracht hattte. (Nebenbei war er auch ein vorzüglicher Orgelbauer. Ich habe, anläßlich eines Vortrages in Augsburg, 1956, die von ihm begründete „Anstalt“ – so nannten wir sie – besucht und vieles wiedererkannt, obwohl ich als Patient nicht mehr als sechs Jahre gezählt hatte, als mich Mama hinbrachte.)

Es hatte eine einzige Frau in Prag gegeben, eine reiche Apothekersfrau, die von Hessing wußte und mit ihrem Söhnchen jährlich hinfuhr. Seltsamerweise führte sie den symbolischen Namen „Adam“. Wie die Mutter die Tatsache und die Adresse dieser Pionierin in Erfahrung gebracht hatte, weiß ich nicht. Genug, mein guter Geist in Gestalt der Frau Brod verschwor sich mit Frau Apotheker Adam, packte mich zusammen und reiste mit mir ins ferne Deutschland. Es wurde in unseren Kreisen damals als eine abenteuerliche Fahrt angesehen. Hoch die Initiative! – Mein Vater mußte Schulden machen. Eine mühselige Nebenarbeit übernehmen, um die für den Mittelstand unerschwingliche Kosten zu decken. Denn Hessing verlangte, daß das Kind für lange Zeit ihm allein und seinem Personal, seiner Diät und Pflege, seinem Internat anvertraut wurde. Nach einem Monat fuhr Mama nach Prag zurück. Ich blieb allein in der Fremde, mit den Märchen von Grimm, die nebst den vielen Spielsachen des Internats mein Trost waren. Die Märchen hatte mir die Mutter auf der Durchreise in Augsburg gekauft.

Mit seinen starken Bauernfäusten schmiedete der riesige Hessing an mein kümmerliche nacktes Körperchen Schienen eines Korsetts, auch einen sogenannten „Halsapparat“ oder „Kopfapparat“, der seinen eisernen, lederumwickelten Teller mir von den Hüften her entgegenstreckte, an denen er festgeschnallt wurde. Ich habe das Zeug viele Jahre getragen, noch im Gymnasium. Es hat mir wohl auch geholfen; meine unglückselige Figur wurde nicht ganz, aber doch wenigstens teilweise normalisiert. Namentlich der Hals wurde frei – was der Hausarzt als ein schieres Wunder ausposaunte. Nur brav das Mieder bei Tag nicht ablegen, auch den Kopfapparat nicht!

Man sollte nun glauben, daß die fortdauernde Qual mich unglücklich gemacht oder daß ich mich der auffallenden Erscheinung geschämt hätte, die ich mit dem sichtbaren Teil der Armatur, mit der Halsschiene darbot. Aber solange ich Kind blieb, war das Gegenteil der Fall- ich war noch stolz auf meinen Kopfapparat und ebensosehr auf den stoischen Gleichmut, mit dem ich die aufrecht gespannte Haltung meines Leibes, den immerwährenden Schmerz ertrug. Ich war stets gern bereit, jedem Beliebigen, vor allem den Kindermädchen im Stadtpark, die mich mitleidig nach dem Zweck des eisernen Halskragens fragten, mit wissenschaftlicher Gründlichkeit die ganze Konstruktion des seltsamen Instruments zu erklären und am eigenen Leib in aller Naivität vorzuzeigen, bis mich das eigene Kinderfräulein, vermutlich peinlich berührt von meiner anscheinenden Fühllosigkeit, mit sich fortzog und mich an der Verbreitung volkstümlicher Bildung hinderte.“
Soweit die Ausführungen von Max Brod. Einige Details sind nicht ganz richtig wiedergegeben. Zumindest laut Wikipedia hat Hessing keine Schlosser-, sondern eine Schreinerlehre absolviert. Und laut Aussage der gleichen Quelle war er auch nicht besonders groß gewachsen, sondern er war mit einer Größe von 1,47 eher klein, was aber aus der Sicht eines Kindes natürlich anders erschienen sein kann.

Auf jeden Fall geht aus den Ausführungen hervor, dass sich die Therapie mit dem Hessingkorsett schon damals durchaus gelohnt hat, und bemerkenswert ist, dass den niedergelassenen Ärzten damals wie heute die Möglichkeiten und Erfolge einer Korsetttherapie, die auf gute, von Korsettbauern mit langjähriger Erfahrung hergestellten Korsetten basiert, meist nicht bekannt sind.
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Raven
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von Raven »

Danke, Thomas - interessante Zusammenfassung :ja:
(Eine ehemalige Patientin der Hessingklinik :cool: Hatte damals in einer dortigen kleinen Ausstellung ein solches Korsett gesehen, daran kann ich mich noch erinnern.)

Viele Grüße
Raven
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von eric »

Danke Thomas - sehr interessanter Bericht!
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von Max221996 »

Toller Beitrag :) Finde es cool das du dich so mit dem Thema beschäftigst.
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von Max60 »

Vielen Dank Thomas für die ungewöhnliche Dokumentation

Liebe Grüße
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benking
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von benking »

Hallo Thomas,

vorallem wundert es mich, dass diese Technik nicht weiterentwickelt wurde. Anscheint spielt auch der Arm Ring eine gr Rolle, sonst würde dieser sicher nicht so stabil ausgeformt sein.

Gruß Bernd
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Thomas
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von Thomas »

Hallo Bernd,

die Technik wurde ja weiterentwickelt, unsere heutigen Kyphose-Korsetts und teilweise die Skoliose-Korsetts bauen ja auf den Hessingschen Korsetts auf.

Allerdings wird heute nicht mehr so viel Augenmerk auf die Extension, die Streckung der Wirbelsäule gelegt, als auf die seitliche, dreidimensionale Korrektur der Bögen. Das wurde zwar von Hessing auch schon gemacht, er baute auch schon Pelotten an seine Skoliosekorsetts, aber im Vordergrund stand dann doch die Extension.

Gruß Thomas
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von benking »

Guten Morgen,
ja, die Extension wird derzeit auch bei Rahmouni mittels Halsteil umgesetzt, andere Korsettbauer sind mir nicht bekannt.
Aber ich habe den Eindruck, dass bei den Hessingkorsett die Extension viel stärker ist und über das gesamte Korsett geht, also nicht nur über das Halsteil.
Das Milwaukee Korsett geht den weg der Extension.
Sicher müsste man ein Korsett entwickeln, welche eine starke Beckenfassung hat, mit Pelotten erarbeitet und die gesamte Wirbelsäule streckt

Bernd
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von Toni »

Vor ca. 15 Jahren habe ich in der Nähe von Landau an der Isar eine Seniorin kennengelernt, die noch ein klassisches Hessing-Korsett getragen hat. Ich kam gerade aus einem Bauernhof und lief am Zaun des großen Bauerngartens vorbei. Darin jätete eine alte Dame mit einer Hacke Unkraut. Dabei bückte sie sich auch immer wieder. Von hinten betrachtet stach mir sofort eine enorme Skoliose ins geübte Kennerauge.
Ich heiße nicht Parsifal sondern Toni und sprach sie deshalb sofort auf ihr "Leiden" an: "Respekt Madam! Mit ihrem Alter und so einer Hammer-Skoliose bei der Hitze im Garten schuften!"

Sie hörte sofort auf zu jäten, lachte und wandte sich mir zu: "Wann i auihähr zum orbadn, no kon i mi glei vom Boindlkramer abiholn losn!"

(Niederbayrisch. Translation für Preisn und andere Neigschmeckte:
"Wenn ich aufhöre zu arbeiten, dann kann ich mich gleich vom Sensenmann abholen lassen!"

Wir begannen uns zu unterhalten. Sie hatte keine Ahnung von ihrer Gradzahl aber ich schätzte mindestens 100° Cobb, sehr gestauchten Rumpf im Verhältnis zu Arm- und Beinlänge und einen enorm beeindruckenden Rippenbuckel.
Sie trug seid ihrer Kindheit täglich ein Hessing-Korsett. Sie schwärmte von dem Korsett.
Ich trug damals mein 1. Rahmouni und knöpfte mein Hemd auf um es ihr zu zeigen.
Sie staunte nicht schlecht und fasste Vertrauen und zeigte mir ihr Hessing-Korsett.
Es war genau so ein Teil wie in dem Buch "Technische Orthopädie -die Orthesen für den Rumpf" 2 Auflage auf Seite 83 abgebildet.

Sie litt offensichtlich nicht sehr unter ihrer Skoliose. Aber sie war etwas kurzatmig.
Sie sagte, dass sie nie echte Schmerzen mit ihrer WS habe, weil sie immer dieses Korsett trage. Sie habe es auch einmal "mit so eim Plastikglump" versucht, habe sich aber zu Tode geschwitzt in der Tupperware und ist wieder schnell ins Hessing-Korsett zurückgekehrt.
Sie braucht alle paar Jahre ein neues Drellmieder-Stoffteil, von denen sie mehrere hat.
Doch die Bandagisten, welche ihr diese Stoffteile passend für den Hessing-Stahlrahmen schneidert, geht bald in Rente und sie weis dann nicht, woher sie das dann noch bekommen wird.

Von Schroth hat sie noch nie etwas gehört, aber sie geht jährlich zur "Kur" nach Bad Abbach (Bei Regensburg). Das gönnt sie sich.
Das war ihr "Luxus" den sie ihrer Skoliose zu verdanken hatte. ( Andere Bäuerinnen und Landfrauen aus ihrem Bekanntenkreis waren noch nie auf Kur oder im Urlaub, immer nur Schuften!)
Sie war sehr lustig und agil für ihr hohes Alter. Eine OP kam für sie nie in Frage, dafür hatte sie keinen Grund, keine Schmerzen und keine Zeit mit einem großen Bauernhof und mehreren Kindern.
Sie rät allen jüngeren Skolis sich nicht von der Skoliose unterkriegen zu lassen.
Ich habe keine Ahnung ob die Dame heute noch lebt. Wenn, dann müsste sie heute um die Hundert sein.
Für mich war diese alte Dame in Ihrem geliebten Hessing-Klassiker die beeindruckendste Skoliose-Begegnung, die ich je gehabt habe!
Denkt POSITIV und bleibt NEGATIV!
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von benking »

Hi Toni,

ja, ich glaube das ist der große Vorteil von dieser Art Korsett, dass man darin weniger schwitzt und das es atmungsaktiver ist.
Aus meiner Sicht, sollten die heutigen Korsettbauer dieses Thema besser umsetzten. In der Tat sind die aktuellen Korsett "Schwitzbomben".

Gruß Bernd
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von Raven »

Hi Toni,

danke für die Anekdote - ich bin in etwa aus der Region :) (komme aus einem kleinen Dorf im Bayerischen Wald, wobei Leute von da Leute aus Landau an der Isar schon als Leute von weiter weg, "Pfremdte", Fremde, bezeichnen würden :D ). Also, den Boandlgramer, oabatn... verstehe ich :)

Meine Großmutter väterlicherseits (ebenso: kleines Dorf im Bayerischen Wald) hatte eine ausgeprägte Skoliose; erwähnt wurde es nie, mit Kittelschütze und Weste (= typische Kleidung von Seniorinnen auf dem Land in den 90ern) bemerkte man zwar einen Buckel (aber nicht anders als bei vielen sehr alten Senioren), es fiel aber später bei der Pflege auf. "Vom Oabatn an Buckl" hat sie oft gesagt.
Behandelt wurde ihre Skoliose sicherlich nie. Sie war bis zur 6. Klasse in der Schule, danach Magd, Mutter und Hausfrau/Landfrau, nie zur Kur, zum Arzt allenfalls mal zum Hausarzt und zum Zahnarzt ("i'd Stodt", in die Stadt fahren), ansonsten nichts. Dass ich ein Korsett hatte, fand sie sehr seltsam, konnte das mit der Skoliose nicht recht einordnen und hielt es für einen "neumodischen Kram", dass einem Ärzte etwas aufschwatzen würden und man dann "nur viel Fahrerei" habe.
Meine Eltern (jetzt Anfang bzw Mitte 70) haben übrigens beide ziemlich sicher Skoliose; auch das wurde nie behandelt, bloß meine Mutter (in der Stadt aufgewachsen) musste als Kind zur "Rückenschule" und "für den Rücken schwimmen gehen", man wird also irgendetwas bemerkt haben.

Der Vater meiner damaligen Schulfreundin, aufgewachsen ebenso auf dem Dorf, hatte als Jugendlicher übrigens ein Korsett aufgrund von Skoliose oder Hyperkyphose ("ich hab' ein schiefes Kreuz gehabt"). Wenn ich nachrechne, müsste das in den 1960er Jahren gewesen sein. Er beschrieb es mir so: Aus Stahl mit Leder bezogen, nachts musste er in einer Gipsschale schlafen. Seine Eltern ermöglichten die Behandlung, bedauerten aber, dass er als "Krippl" (Krüppel, so damalige Wortverwendung...) nicht zum Arbeiten im Handwerk tauge. Korsett kam mit Ausbildungsbeginn weg, Gipsschale mit der Heirat, keine weiteren Behandlungen mehr danach.

Bzgl. des Schwitzens kann ich nur zustimmen: Ich bin ein "Outdoormensch", mag wandern (weiteste Strecke an einem Tag war Marathondistanz!), im Garten arbeiten, Pilze und Beeren sammeln gehen mag in der warmen Jahreszeit gerne Aktivitäten nach draußen verlagern - z.B. auf dem Balkon oder im Garten lesen, zum Werkeln meine Sachen nach draußen räumen - und das Schwitzen störte mich im Korsett sehr. Viel mehr als die Optik, obwohl die im damaligen Korsett (Boston-Wiesbaden) sehr auffällig war. Mit Tipps wie "im Sommer mehr drinnen bleiben", "im Schatten unter einem Sonnenschirm sitzen" konnte ich mich nie anfreunden, bin somit mit Korsett dennoch raus, habe enorm geschwitzt und es nur weggelassen wenn gar nicht ging (Bergwandern im Sommer kann man schon als Sport ansehen ;)).
Das Schwitzen alleine wäre für mich natürlich kein Grund für die OP gewesen, und ich bin trotz sehr gutem OP-Verlauf und keinerlei Folgeproblemen bislang (OP knapp 25 Jahre her!) definitiv kein Befürworter übereilter OPs. Darüber, dass sich die Schwitzerei durch das Nichtmehrbenötigen eines Korsetts erledigt hat, bin ich aber (als Nebeneffekt) froh.
Gut korrigierende Korsetts (und andere Orthesen, auch z.B. Beinorthesen können im Sommer sehr unangenehm werden) die luftdurchlässiger sind fände ich sehr wichtig. Es gibt ein paar Ansätze, mit Computermodellen die tragenden Strukturen zu berechnen und alles andere auszusparen; man findet einiges online, wenn man nach "skoliose korsett 3d drucker", "3d printed corset brace" sucht. Medizinische (!) Studien die sich mit der erzielten Korrektur befassen sind mir zu dem Thema aber nicht bekannt.

Viele Grüße
Raven
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Re: Erfolgreiche Kyphose-Therapie mit dem Hessingkorsett gegen Ende des 19. Jahrhunderts

Beitrag von korsettuli »

Hi,
ja, schwitzen ist ein Problem. In einem textilen Stützmieder/Korsett kann man auch vortrefflich schwitzen. Das Korsetthemd/T-shirt ist schnell durchgeschwitzt. Dann zieht der Schweiß in den Korsettdrell und bleibt erstmal drin.
Selbst wenn Stahlrahmen, -Bügel und -Pelotten eingebaut werden, kann keine so hohe, dreidimensionale Stabilität und Steifigkeit erreicht werden.
Könnte man trotzdem mal versuchen. Zur Zeit wird es vermutlich keine Orthopädietechniker:innen geben, welche das nötige anatomische Wissen und das Können zur Korsettschneiderkunst zum Bau von textilen Skoliose- und Kyphosekorsetts vereinen können.
Gruß aus dem Rheinland
Korsettuli
Lieber Korsett tragen als Schmerzen ertragen
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