Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepatiente

Fragen zum Thema Wirbelsäulen OP's
Dr. Steffan
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Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepatiente

Beitrag von Dr. Steffan »

Ein immer wieder heiß diskutiertes Thema bei der Therapie der Skoliose ist die OP. Wann sollte man, ab welchem Winkel, in welchem Alter etc., etc.?

Ich habe einmal ein paar aktuelle wissenschaftliche Studien durforstet die eventuell für den betroffenen Patienten etwas Licht ins Dunkel bringen und die große Unsicherheit und Angst die von vielen Ärzten verbreitet wird vielleicht etwas legt.

Zunächst einmal belegen aktuelle Untersuchungen aus den USA, dass unbehandelte Skoliosen nur äußerst selten schwerwiegende gesundheitliche Störungen verursachen. Die Ergebnisse zeigen, dass keine gravierenden Unterschiede in der Lebenserwartung und –qualität bestehen. In einer eigenen Untersuchung haben wir gesehen, dass selbst bei Krümmungen über 90° bei keinem Patienten nennenswerte Rechtsherzüberlastungen auftraten.
Zudem ist nachgewiesen das skoliosespezifische KG (Schroth, Rigo etc.) einen deutlich positiven Effekt auf die Skoliose hat. Im Gegensatz übrigens zu einer unspezifischen KG (Spiraldynamik, Yoga, etc.).

Die Wirkweise von Korsetten ist ja anhand von diversen wissenschaftlichen Untersuchungen inzwischen hinlänglich nachgewiesen. Wobei nicht nur eine Krümmungszunahme aufgehalten, sondern nicht selten auch deutliche Verbesserungen erzielt, und langfristig gehalten werden können.

Im Gegensatz dazu existieren keine Evidenz basierte Studien die belegen, dass eine Skoliose Op Vorteile bringt. Eine sehr aktuelle Untersuchung aus dem Jahr 2015 belegt sogar, dass die Lebensqualität operierter Patienten nicht besser ist als die nicht operierter Skoliosepatienten.

Beachtet man zudem noch das kosmetische Besserungen nach eine Skoliose Op oftmals keinen Bestand haben, betrachtet man das Op Risiko und die recht häufig notwendigen Nach Op’s (über 40% innerhalb von 20 Jahren) ist fraglich ob eine Skoliose Op überhaupt noch zeitgemäß ist.

Sicher gibt es Ausnahmen wie z.B. extrem progrediente Verläufe. Da diese aber in der Regel recht selten sind, sollte die Indikation zur Skoliose Op eher zurückhaltend getroffen werden.
Dr. K. Steffan
Sängerin52
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Diagnose: mein 16 jähriger Sohn hat eine Skoliose (am Ende fast 90° in der BWS, 70° in der LWS) und ist jetzt seit dem 23.3.17 operiert und hat jetzt 54° thorakal und 30° lumbal
Therapie: wir hatten ein Korsett von CCTec, haben Spiraldynamik, Vojta, Osteopathie, Schroth gemacht und machen mit Spiraldynamik auch nach der OP weiter
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Sängerin52 »

Hallo Dr. Steffan,

das freut mich sehr, dass Sie diese Dinge über die OP schreiben. Das beruhigt mich auch nochmal im Nachhinein, dass wir dem Drängen der Ärzte nicht nachgegeben haben und ich meinen Sohn nicht habe operieren lassen.
Auch dass bei einem Krümmungswinkel von 90° KEINE Herzprobleme auftreten müssen, finde ich ungeheuer beruhigend, denn das hatte uns selbst Dr. Weiß noch gesagt, dass wir dann neu überlegen sollten, von den anderen Orthopäden, die wir vor Dr. Wilke konsultiert hatten ganz zu schweigen. Das finde ich gerade richtig gute Nachrichten.

Einen kleinen oder auch längeren Hinweis zur Spiraldynamik würde ich gern anfügen, denn da bin ich nicht ganz Ihrer Meinung, wie Sie sich sicher schon denken können. Ich trete hier im Forum ja gern als Befürworterin der Spiraldynamik auf, auch in Bezug auf Skoliose und das hat natürlich Gründe.

Die Spiraldynamik ist keine unspezifische KG, wenn man jemanden hat, der sich gut damit auskennt und sich besonders auch mit den Fragen zur Skoliose beschäftigt hat.
Ich traue mir eine Bewertung zu, da ich sowohl das Basis Training in der Schweiz gemacht habe (15 Tage Ausbildung) als auch drei Extra Kurse, die Spiraldynamik Fachkräfte abgehalten haben, die sich jeweils ein Wochenende mit dem Thema Skoliose und den Übungen dafür beschäftigt haben. (ich schreibe das hier nicht, um für mich Werbung zu machen, ich gebe keine Spiraldynamik Kurse, ich bin Sängerin ;-) Ich möchte damit nur deutlich machen, dass ich mich - vor allem wegen meines Sohnes - sehr intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt habe)

Wir können sehen, wie sich die Spiraldynamik auf die Haltung und Bewegung und auf das Rückenprofil meines Sohnes auswirkt. Gerade nach einem Wochenende, was wir in der Schweiz bei einem Kurs von Frau Rosmann-Reif für Skoliotiker und Skoliose-Spiraldynamik Therapeuten verbracht haben, sah sein Rücken phantastisch aus. Das hält sich dann erst einmal eine Zeit und wird wieder schwächer, aber das erlebe ich bei Schroth genauso und ich denke, man muss da auf die Länge der Zeit die Erfolge suchen.

Die Spiraldynamik kann sehr gezielt mit den verschiedenen Drehungen, die sowohl in der Sagittalachse als auch in der Longitudinalachse bei der Skoliose auftreten arbeiten. Sie können mit einzelnen Rippen arbeiten, sie arbeiten an der Stellung des Beckens, sie arbeiten mit der Stellung der Schulterblätter und dem Schulterstand, sie arbeiten mit Atmung.
Und sie schauen Bewegung genau daraufhin an, dass sich jemand mit Skoliose beim gehen, wenn man die verschiedenen Verschraubungen gelernt hat, aus seiner Skoliose mit jedem Schritt "heraus drehen" kann und die andere Seite nicht so weit rotieren lässt, so dass schon das Gehen allein zur Übung wird. Das ist enorm gezielt.
Immer unter der Voraussetzung, dass man es mit jemandem zu tun hat, der wirklich gut ist und Skoliose versteht. Aber das gilt ja auch für die Schroth Therapeuten.

Von daher würde ich mich sehr freuen, wenn Sie die Spiraldynamik als eine Möglichkeit der spezifischen Skoliose Therapie betrachten könnten und nicht wie ein Kollege von Ihnen als "neumodisches Zeug" oder eben als "unspezifisch" abtun würden. Ich glaube, damit wird man ihr nicht gerecht.

mit lieben Grüßen am Abend
Sängerin
Dr. Steffan
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Dr. Steffan »

Sängerin52 hat geschrieben: Von daher würde ich mich sehr freuen, wenn Sie die Spiraldynamik als eine Möglichkeit der spezifischen Skoliose Therapie betrachten könnten und nicht wie ein Kollege von Ihnen als "neumodisches Zeug" oder eben als "unspezifisch" abtun würden. Ich glaube, damit wird man ihr nicht gerecht.

mit lieben Grüßen am Abend
Sängerin
Unter Skoliosespezifischer Therapie versteht man eine Therapie die die unterschiedlichen Skolioseformen und deren Klassifikationen mit dafür eigenen, unterschiedlichen Übungen berücksichtigt. Dies macht die Spiraldynamik nicht. So gibt es z.B. bei Schroth die Unterscheidung der verschiedenen Gruppen T und L (früher 3B und 4BH), diese Unterscheidung gibt es bei der Spiraldynamik nicht. Das hat nichts mit einer Disqualifizierung der Spiraldynamik zu tun. Die Studien beziehen sich aber ganz klar auf diese "skoliosespezifischen" Therapieformen, das ist nicht meine Erfindung.
Dr. K. Steffan
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von manu1979 »

Hallo Herr Dr. Steffan,

uns wurde bei der letzten Kontrolle bei Dr. Hoffmann erzählt, das meine Tochter durch die Skoliose wenn diese nicht operiert werden würde und sich nun weiter verschlechtert ( 60 Grad) im Alter massive Lungen und Herzprobleme auftreten könnten. Das möchte ein Kind mit 12 Jahren sicher nicht hören. Ich finde es wirklich toll nun das Gegenteil hier zu lesen ;D Klar kann sich eine Skoliose bei jedem anders auswirken, aber trotzdem ist es für mich nicht verständlich warum man zu einer OP immer förmlich " gezwungen" wird zumindest ist es bei uns immer so
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Dr. Steffan »

manu1979 hat geschrieben:Hallo Herr Dr. Steffan,

uns wurde bei der letzten Kontrolle bei Dr. Hoffmann erzählt, das meine Tochter durch die Skoliose wenn diese nicht operiert werden würde und sich nun weiter verschlechtert ( 60 Grad) im Alter massive Lungen und Herzprobleme auftreten könnten. Das möchte ein Kind mit 12 Jahren sicher nicht hören. Ich finde es wirklich toll nun das Gegenteil hier zu lesen ;D Klar kann sich eine Skoliose bei jedem anders auswirken, aber trotzdem ist es für mich nicht verständlich warum man zu einer OP immer förmlich " gezwungen" wird zumindest ist es bei uns immer so
Ich finde dieses Drängen zur Op insbesondere daher bedenklich da es keine wirklich aussagekräftigen Studien zur langfristigen Wirksamkeit einer Op gibt. Was auch auffällt ist das ständige nach unten Korrigieren der Winkel zur Op Indikation. Angefangen hat das vor Jahren mal mit 60°, gerade eben hatte ich einen Patienten dem von einer renommierten Klinik mit 30° empfohlen wurde dringend eine Op durchführen zu lassen. Das hat für mich nichts mehr mit medizinischer Ethik zu tun.
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Dr. Trobisch »

Hallo,

ich muss auch mal was dazu sagen. Es handelt sich sicherlich um eine sehr selektive Literaturrecherche. Heutzutage wissen wir, dass eine Skoliose so gut wie nie zu einem Lungenversagen führt, nicht erst seit der hier zitierten Weinstein-Studie. Ausnahmen sind die sog. Early Onset Skoliose, d.h. Skoliosen, die vor dem 5. Lebensjahr beginnen. Diese können bei einem schweren Verlauf tatsächlich zu einer Lungenkrankheit führen.

In der Tat gibt es für eine Skolioseoperation nie eine absolute Indikation. Wie immer in der Medizin, kommt es auf eine gute Aufklärung an. Sehr gute Langzeitbeobachtungen bei Skoliose konnte Nachemson machen. Interessanterweise fand er heraus, dass operierte Patienten im Vergleich zu nicht operierten Patienten natürlich eine schlechtere Beweglichkeit hatten. Allerdings fand er das gleiche überraschenderweise bei den Korsett-behandelten Patienten. Die Beweglichkeit zwischen den OP-Patienten und den ehemaligen Korsettträgern wiederum war nicht unterschiedlich.

Es ist halt wie so oft eine Ermessensfrage. Wenn also eine unbehandelte Skoliose im Alter weder eine starke Einschränkung der Lebensqualität bewirkt und auch keine Lungenprobleme macht, aber gleichzeitig eine OP sowie ein Korsett die Beweglichkeit herabsetzen. Warum sollte man dann überhaupt behandeln?? Dann könnte man doch sowohl auf OP wie auch auf Korsett verzichten!

Es kommt darauf an, dass man das ganze Bild versteht. Ein guter Arzt wird niemals nur zum Korsett oder nur zur OP raten. Aufklärung ist alles und so wie ich meine Patienten kennengelernt habe, sind die meisten sehr glücklich, dass sie am Ende selber entscheiden, welcher Weg für sie der beste ist.
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Zebrastreifen »

Es kommt darauf an, dass man das ganze Bild versteht. Ein guter Arzt wird niemals nur zum Korsett oder nur zur OP raten. Aufklärung ist alles und so wie ich meine Patienten kennengelernt habe, sind die meisten sehr glücklich, dass sie am Ende selber entscheiden, welcher Weg für sie der beste ist.
Dazu muss es gute Ärzte geben, die weitsichtig beraten und viele Möglichkeiten der Behandlung kennen. Ausserdem Offenheit für den Weg den der Patient versucht.

Wie oft sitzen Patienten vor Ärzten, die einem sagen xy geht nicht, weil er damit keine guten Erfahrngen gemacht hat. Das heisst ja noch lange nicht ob bei Herr Meier, der eine Weg doch klappt, was bei Frau Schmidt nicht klappte.

Oder wenn beispielsweise zu einem großen Blutbild einem Ptienten gesagt wird, es ist bei ihnen alles super und ihre Beschwerden kommen nicht davon. Aber ein großes Blutbild allein sagt nichts über alle relevanten Werte aus, die noch gemacht werden könnten. Und vielleicht findet man doch noch eine mögliche Ursache der Beschwerden.
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Dr. Steffan »

Dr. Trobisch hat geschrieben:Hallo,

ich muss auch mal was dazu sagen. Es handelt sich sicherlich um eine sehr selektive Literaturrecherche.

Eher nicht. Bei den Studienautoren handelt es sich um so bekannte Namen wie Asher, Danielsson, Deisseroth, Goodall, Hawes, Mueller, Upasani, Weinstein, ...um nur einige zu nennen.
Heutzutage wissen wir, dass eine Skoliose so gut wie nie zu einem Lungenversagen führt, nicht erst seit der hier zitierten Weinstein-Studie. Ausnahmen sind die sog. Early Onset Skoliose, d.h. Skoliosen, die vor dem 5. Lebensjahr beginnen. Diese können bei einem schweren Verlauf tatsächlich zu einer Lungenkrankheit führen.
Aber genau die "große Gefahr" der Rechtsherzüberlastung und des Lungenversagens wird von den Operateuren immer wieder herangezogen um die Pat. zur OP zu drängen. Weiteres Argument ist immer wieder der Rollstuhl. In meinen Augen pure Panikmache.
Sehr gute Langzeitbeobachtungen bei Skoliose konnte Nachemson machen. Interessanterweise fand er heraus, dass operierte Patienten im Vergleich zu nicht operierten Patienten natürlich eine schlechtere Beweglichkeit hatten. Allerdings fand er das gleiche überraschenderweise bei den Korsett-behandelten Patienten. Die Beweglichkeit zwischen den OP-Patienten und den ehemaligen Korsettträgern wiederum war nicht unterschiedlich.
Mal ganz ehrlich....dann doch lieber schlechte Beweglichkeit aufgrund des Korsetttragens als durch eine OP.
Es ist halt wie so oft eine Ermessensfrage. Wenn also eine unbehandelte Skoliose im Alter weder eine starke Einschränkung der Lebensqualität bewirkt und auch keine Lungenprobleme macht, aber gleichzeitig eine OP sowie ein Korsett die Beweglichkeit herabsetzen. Warum sollte man dann überhaupt behandeln?? Dann könnte man doch sowohl auf OP wie auch auf Korsett verzichten!
Der Vergleich hinkt. Durch das Korsett wird korrigiert oder zumindest gehalten und das ohne die Op-Risiken. Warum sollte ich die Op Risiken eingehen wenn die Op im Vergleich zum Korsett keine Vorteile bringt?
Es kommt darauf an, dass man das ganze Bild versteht. Ein guter Arzt wird niemals nur zum Korsett oder nur zur OP raten. Aufklärung ist alles und so wie ich meine Patienten kennengelernt habe, sind die meisten sehr glücklich, dass sie am Ende selber entscheiden, welcher Weg für sie der beste ist.
Wenn ich dem Pat. aber Angst mache und er sich aus diesem Grund für eine Op entscheidet ist das mehr als zweifelhaft. Ich möchte damit nicht sagen dass Sie das tun, dies machen Sie mit Sicherheit nicht, leider aber viele Kollegen.
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Raven »

Hallo Herr Dr. Steffan,
Mal ganz ehrlich....dann doch lieber schlechte Beweglichkeit aufgrund des Korsetttragens als durch eine OP.
Wie schätzen Sie die Bewegungseinschränkungen in Vergleich zwischen Korsett und OP ein?
Insbesondere, wenn die operative Korrektur durch eine kurzstreckige Versteifung stattfinden kann?
(Mir fällt auf: Das könnte man als rhetorische Frage auffassen, ist so aber nicht gemeint. Ist in den Studien auch etwas zu finden, dass Patienten ihre Beweglichkeit nach OP nach Abschluss der Genesungszeit als besser als im Korsett empfinden?)

Mir ist selbstverständlich klar: Eine operative Versteifung ist "24 Stunden am Tag" da, während ein Korsett immer situativ abgelegt werden kann und evl. nach einigen Jahren der Therapie die Tragezeit stark reduziert werden kann. Ich persönlich (!) bin jedenfalls lieber durch eine OP in Bewegungen eingeschränkt, als durch ein (mit hoher Tragezeit, sowie nicht nur für wenige Jahre mit Aussicht auf Abschulung getragenes) Korsett. Ich persönlich (!) empfinde es so, durch die operative Versteifung nur die Konsequenz der Bewegungseinschränkung zu haben (welche ich trotz langstreckiger Versteifung als geringer empfinde als jene durch ein diesen Bereich umfassendes Korsett), während ich von der Korsettbehandlung mehr "Nebenwirkungen" kenne, die ich für eine Behandlung mit Aussicht auf Abschulung akzeptiert habe, jedoch als dauerhafte Behandlung als zu einschränkend empfunden hätte.
Warum sollte ich die Op Risiken eingehen wenn die Op im Vergleich zum Korsett keine Vorteile bringt?
Das könnte z.B. eine größere Beweglichkeit, besseres Aufhalten der Krümmungszunahme (von Fall zu Fall unterschiedlich), kosmetische und psychische Gründe (spielten für mich keine Rolle; ich fand mein Aussehen ohne Korsett sowie mit einem, das äußerlich einem Rahmouni ähnelte, völlig in Ordnung), sensorische Gründe (spielten auch für mich eine Rolle, wäre nie ein alleiniger OP-Grund gewesen, aber ich muss doch zugeben, ohne Korsett ist mein Körpergefühl doch besser, ich kann im Alltag aktiver sein) sein.

Selbst für mich (individuell unterschiedlich, siehe auch Kommentare weiter oben) habe ich die OP als Chance gesehen, bei absolutem Misserfolg der Korsetttherapie (bei damals verfügbaren!) noch irgendetwas in Richtung Korrektur und Krümmungsstopp tun zu können. Es erfolgte damals glücklicherweise eine ehrliche Aufklärung (kein Schönreden, das wäre bei nichtprimärstabilen Implantaten auch gar nicht möglich gewesen bzw. sofort aufgefallen wäre, aber auch kein Beängstigen wie "wenn nicht OP, dann Rollstuhl, Herzprobleme").

Viele Grüße
Raven
Zuletzt geändert von Raven am Di, 31.05.2016 - 14:21, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Dr. Steffan »

Raven hat geschrieben:
Wie schätzen Sie die Bewegungseinschränkungen in Vergleich zwischen Korsett und OP ein?
Gemeint ist hier nicht die Bewegungseinschränkung im Korsett sondern nach Abschulung eines Korsetts. die Patienten berichteten in der Untersuchung, dass sie nach Abschulen des Korsetts immer noch das Gefühl hätten in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt zu sein.
Die Erwachsenenkorsettversorgung hat in die Fachwelt leider noch keinen Einzug gehalten :-)
Insbesondere, wenn die operative Korrektur durch eine kurzstreckige Versteifung stattfinden kann?
Bewegungseinschränkungen sind auch bei kurzstreckigen Versteifungen vorhanden aber natürlich lange nicht so wie bei langstreckigen. Die Gefahr bei den kurzstreckigen Versteifungen ist, und das sehe ich sehr oft, die Ausbildung einer neuen Krümmung ober oder unterhalb der Versteifungsstrecke. Sehr häufig kommt es dann zu weiteren Op's und Versteifungen. Diese dann sehr umfangreich und damit sehr bewegungseinschränkend.
(Mir fällt auf: Das könnte man als rhetorische Frage auffassen, ist so aber nicht gemeint. Ist in den Studien auch etwas zu finden, dass Patienten ihre Beweglichkeit nach OP nach Abschluss der Genesungszeit als besser als im Korsett empfinden?)
s.o.
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Raven »

Hallo Herr Dr. Steffan,
Dr. Steffan hat geschrieben: Gemeint ist hier nicht die Bewegungseinschränkung im Korsett sondern nach Abschulung eines Korsetts. die Patienten berichteten in der Untersuchung, dass sie nach Abschulen des Korsetts immer noch das Gefühl hätten in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt zu sein.
Die Erwachsenenkorsettversorgung hat in die Fachwelt leider noch keinen Einzug gehalten :-)
danke, mir war nicht klar, dass es sich auf den Fall bezog, dass abgeschult werden kann und tatsächlich die Beweglichkeit ohne genommen wird.
Woher kommen die empfundenen Beweglichkeitseinschränkungen? Meine Vermutung: Im Korsett erlernte Bewegungsmuster, die man ohne Korsett weiterhin durchführt und sich - natürlich - von denen Jugendlicher ohne jegliche WS-Deformität/Behandlung unterscheiden?
Dr. Steffan hat geschrieben: Bewegungseinschränkungen sind auch bei kurzstreckigen Versteifungen vorhanden aber natürlich lange nicht so wie bei langstreckigen. Die Gefahr bei den kurzstreckigen Versteifungen ist, und das sehe ich sehr oft, die Ausbildung einer neuen Krümmung ober oder unterhalb der Versteifungsstrecke. Sehr häufig kommt es dann zu weiteren Op's und Versteifungen. Diese dann sehr umfangreich und damit sehr bewegungseinschränkend.
Beidem stimme ich zu (bin sehr in der Skoliose-OP-Selbsthilfe aktiv, kenne somit die Beweglichkeit bei verschiedenen Versteifungsstrecken und das Problem bzgl. Anschluss-OPs, und kenne am eigenen Beispiel gut die Bewegungseinschränkungen einer langstreckigen Versteifung, die bei mir Th3-L5 umfasst).

Viele Grüße
Raven
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Tammi »

Um mich mal zu dem Thema zu äußern, nach 8 Jahren Korsetttherapie habe ich nicht das Gefühl, unbeweglich zu sein. Ich habe das Gefühl, mich sehr gut bewegen zu können. Bei einer OP würde mindestens die LWS versteift werden, da dort meine Hauptkrümmung ist. Viele Dinge, die ich im Moment kann, wären dann nicht mehr möglich. Ich bin durch das letzte Korsett sogar beweglicher geworden. Vorher kam ich nicht mit den Händen auf den Boden, wenn ich mich nach vorne gebeugt habe, jetzt schon. Perfekt ist es nicht, meine Beinrückseiten sind immer noch verkürzt, aber es ist deutlich besser als vorher.

Liebe Grüße
Tammi
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Verlauf: viewtopic.php?f=27&t=31324
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Dr. Trobisch »

Ich glaube ohnehin, dass wir in 10 Jahren keine Skoliose mehr versteifen.
Dr. Steffan
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Dr. Steffan »

Dr. Trobisch hat geschrieben:Ich glaube ohnehin, dass wir in 10 Jahren keine Skoliose mehr versteifen.
Das denke ich auch und das wäre im Sinne der Patienten auch zu hoffen.
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Sabona »

dieser "Glaube" gibt mir Mut und Hoffnung für meine Enkelkinder.
Bis jetzt sehe ich noch keine Anzeichen einer Skoliose, sie sind aber erst auch 5 und 8 Jahre alt.

LG
Zebrastreifen
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Zebrastreifen »

Ich glaube ohnehin, dass wir in 10 Jahren keine Skoliose mehr versteifen.
Warum genau? Und warum nicht jetzt schon?

Aufgrund der OP-Technik?


Ich glaube daran nicht aufgrnd der Privatisierung und Gewinnorientierung einiger Kliniken, besonders mit Wirbelsäulen-OPs und orthopädischen OPs lässt sich gut Geld machen.
Dr. Steffan
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Dr. Steffan »

Zebrastreifen hat geschrieben: Aufgrund der OP-Technik?
Ja, in den letzten Jahren entwickeln sich die nicht versteifenden Op Verfahren recht erfolgversprechend.
Ich glaube daran nicht aufgrnd der Privatisierung und Gewinnorientierung einiger Kliniken, besonders mit Wirbelsäulen-OPs und orthopädischen OPs lässt sich gut Geld machen.
Das ist natürlich auch ein Argument das nicht von der Hand zu weisen ist.
Dr. K. Steffan
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Retrolysthese
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1.Korsett 5/12, Rahmouni
2.Kors. 8/13, Rahmouni
3.Kors. 12/14, mit Halsteil
4.Kors. 3/16, 2-Schaliges Rahmouni mit Halsteil

Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Lego66 »

Hallo,
Dr. Trobisch hat geschrieben:Ich glaube ohnehin, dass wir in 10 Jahren keine Skoliose mehr versteifen.
Zumindest ein drastischer Rückgang der OP-Zahlen wäre sicher eine sinnvolle Entwicklung, die einem den Glauben an die Sinnhaftigkeit unseres Gesundheitssystems zurückgeben könnte.
Dr. Trobisch hat geschrieben: Warum sollte man dann überhaupt behandeln?? Dann könnte man doch sowohl auf OP wie auch auf Korsett verzichten!
Da vergessen Sie wohl diejenigen von uns, die teilweise unerträgliche Schmerzen haben. Für die ist ein gutes Korsett ein wahrer Segen, egal wie sehr es die Beweglichkeit einschränkt. Und wie schon gesagt: das Korsett kann man auch stundenweise in die Ecke stellen, wenn es mal allzu heiß ist oder man einfach mal eine Pause braucht. Ich bin allerdings nach jeder Pause froh, das Korsett wieder anziehen zu dürfen und damit meine Schmerzen im Griff zu haben.

Ich würde mir, wenn wir schonmal dabei sind in die Zukunft zu blicken, wünschen , dass endlich Schluss ist mit der Verteufelung speziell des Erwachsenenkorsetts. Ich darf garnicht darüber nachdenken, was mir an Schmerzen und Tablettenkonsum hätte erspart werden können, wenn ich bei Zeiten, also etwa dreißig Jahre früher, ein wirksames Korsett bekommen hätte.

LG,
Gaby
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von Mic28 »

Sehr geehrter Herr Dr. Steffan,

danke für ehrlichen Worte! Auch wenn wir uns bei unserem Sohn ("Ausgangsskoliose" 61°/58°) längst gegen eine Operation und für eine (sichtbar erfolgreiche) Korsetttherapie entschieden haben, brennen mir immer noch die Worte des Arztes der Uniklinik Dresden in den Ohren, der von einer operationspflichtigen (!!!) Skoliose sprach, unserem Sohn eine frühzeitige Invalidität prognostizierte und Korsett, Schroth etc. als Scharlatanerie bezeichnete. Alternative zur OP: Keine!

Nun, das Korsett wirkt dennoch ausgezeichnet, Schroth und Spiraldynamik helfen und unser Sohn, munter und beweglich wie eh und je, macht nicht den Eindruck baldiger Invalidität.

Aber im Ernst. Ich finde die oben zitierte Einstellung/Meinung des Arztes (wie auch der Orthopädin, die wir vorher aufsuchten) mehr als fahrlässig. Als Gutachter tätig, könnte ich mir so eine Verfahrensweise nicht erlauben. Es sei denn, ich möchte keine Aufträge mehr bekommen oder meinen Ruf ruinieren. Aber das kann dem o.g. Arzt wohl nicht widerfahren ...

Also, nochmals Dank für Ihre offene Meinung!

Mic28
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Re: Für und Wider der operativen Versorgung von Skoliosepati

Beitrag von general-rammstein »

Guten Abend zusammen,

ohne hier weitere Kontroversen aufzuwerfen möchte ich mich der Meinung von Dr. Steffan vollumfänglich anschliessen. Wenn dies ihre gelebte Meinung ist, wer weiß vielleicht finde ich dann auch als "Spezialfall" mal den Weg zu Ihnen... wenn ich herausfinde wo Sie gerade praktizieren natürlich ;)
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