Hallo Elbenjan,
ich kann die Bedenken deines Sohns sehr gut verstehen (ich begann die Korsetttherapie, als ich bereits von Mobbing betroffen war).
Eine Kur/Reha, um auch andere Korsettträger kennenzulernen, kann ich empfehlen. Erstens, wie schon genannt, fühlt man sich dann nicht alleine mit Skoliose und Korsett, sondern kann sich auch von anderen Tricks und Tipps abgucken: Wie kaschiert man das Korsett gut, wie entgegnet man blöden Sprüchen, wie fährt man trotzdem Fahrrad etc. Sowas kann einem nämlich kein Arzt und auch kein Psychologe, sofern er nicht selbst einmal Korsettträger war, erklären.
Erstmal ein bisschen auf youtube rumzugucken (z.B. Korsisisters) kann ich empfehlen.
Erklärungen wie, Vergleich es mit deiner festen Klammer, helfen nix.
Ich bekam mein Korsett etwas früher (mit 10/11 Jahren) und war in der selben Situation wie dein Sohn: Ich wusste dass das Korsett wichtig ist (ich trug es daher auch fleißig), wollte unbedingt eine OP vermeiden. Ich habe sogar an die langfristigen Auswirkungen gedacht, und sagte mir relativ mutig: "Ich trage das Teil jetzt ein paar Jahre, schön ist es zwar nicht, aber dafür habe ich später einen gesunden Rücken! Lieber jetzt etwas verzichten, und dafür langfristig einen gesunden Rücken."
Trotzdem:
Von Erwachsenen, die es mit üblicheren HIlfsmitteln wie Zahnspange verglichen, oder gar von einem "festen Unterhemd" sprachen, fühlte ich mich nicht ernst genommen, ebenso wenig von Erwachsenen, die mir versicherten, man würde mein Korsett kaum sehen (dieses Korsettmodell war auch unter Kleidung deutlich sichtbar; meine Eltern und andere Erwachsene wollten mir eben einen Gefallen damit tun, zu behaupten, man sähe es nicht, und ich merkte, dass sie nur so taten). Ich merkte eben doch, dass das Korsett mehr nervt, umständlicher ist, mehr Erklärung bedarf (so gut wie jeder weiß, wobei eine Zahnspange mal lästig ist, aber bei einem Korsett muss man andauernd erklären: warum das Bücken so schlecht geht obwohl man jung ist, warum man wirklich viel schwitzt und echt nicht jammerig ist, wenn man bei Ausflügen im Sommer kaum mehr kann) und man sich mitunter Vorwürfen ausgeliefert sieht (benötigt man eine Zahnspange, kommen in der Regel keinerlei Vorwürfe; als Korsettträger hingegen musste ich mir andauernd von diversen Leuten anhören, ich würde wohl zu wenig Sport machen, mich zu ungesund ernähren und das sei nun die Konsequenz).
Rundum: Ich hielt den Vergleich mit der Zahnspange bzgl. der Alltagsauswirkung für "einen schlechten Witz", wennauch er die Funktionsweise eines Korsetts durchaus gut beschreibt ("So wie eine Zahnspange die Zähne in die richtige Position zieht, macht das ein Korsett mit den Wirbeln").
Ernster genommen fühlte ich mich von Leuten, die auch eines hatten, oder konstruktive Vorschläge machten, mein Befinden ernst nahmen (z.B. Schwitzen, niedriges Sitzen anstrengend) und auch nicht auf unglaubwürdige Art und Weise das Korsett kleinredeten/verharmlosten.
Vom Verheimlichen des Korsetts kann ich nur abraten: Bewegungseinschränkungen fallen auf, ebenso, bei Berührung sich hart anzufühlen (es wird beim Bus gedrängelt etc.), Umkleiden beim Sportunterricht, und auch bei manchmal im Unterricht spontan geforderten Bewegungen (Tafel wischen, Schüler werden gebeten nach vorne zu kommen und etwas vorzumachen etc.).
Korsetts sind recht unbekannt, und es werden rasch Gerüchte aufkommen, warum sich dein Sohn auf einmal weniger gut bewegen kann und was er da trägt. Auf ein medizinisches Hilfsmittel zur Korrektur einer Wirbelsäulenfehlstellung kommt da kaum eher.
Meine Empfehlung: er könnte erstmal mit Leuten reden, die er mag (versteht er sich mit ein paar Mitschülern? gibt es nette Lehrer?) sowie unbedingt den Klassenlehrer informieren, damit nicht gedacht wird, er simuliere da etwas (es kann auf Lehrer schonmal seltsam und unglaubwürdig wirken, wenn sich ein zuvor fitter Teenager auf einmal nicht mehr richtig bücken kann, beim Schuhebinden langsamer ist etc.) und damit umgekehrt auch bekannt ist, was mit einem Korsett machbar ist bzw. dass es abgenommen werden darf (auf Uneingeweihte wirkt ein Korsett bisweilen so, als müsse damit die Wirbelsäule permanent geschient werden und eine falsche Bewegung führe schon zu schweren Schäden).
Spätestens, wenn das Korsett täglich in der Schule getragen wird, sollte die Klasse bescheid wissen.
Anknüpfpunkt für ein privates Gespräch mit Mitschülern, die er mag, wie auch einem Vorstellen der Korsettbehandlung in der Klasse (letzteres kann auch ein Lehrer übernehmen, die Fächer Biologie, Sport, auch Ethik passen hier) kann z.B. das Fehlen aufgrund von Terminen sein: "Ich war letzte Woche beim Orthopäden ...", "Ich habe morgen wieder einen Termin...".
Beim Gespräch mit dem Klassenlehrer ist es zusätzlich sinnvoll, dass auch die Eltern das Gespräch suchen, um zu vermeiden, dass sich der Lehrer nicht sicher ist, ob dein Sohn alles wahrheitsgemäß erzählt.
Ich kann mir gut vorstellen, dass sich dein Sohn in einem gewissen Zwiespalt befindet:
Einerseits wissen, welchen Zweck das Korsett erfüllt und dass die Korsetttherapie wichtig ist, das Korsett daher auch wirklich tragen wollen.
Andererseits nicht wissen, wie er das praktisch realisieren soll: Angst nicht nur vor Verstärkung der Außenseiterrolle, sondern vor handfestem Mobbing (ging mir persönlich auch so; während ich zwar gut damit zurecht kam, wenig gemocht zu werden sofern man mich wenigstens ins Ruhe ließ, sowie ich eher vom Typ "sollen sie doch denken..." trotz Schüchternheit war, war bei Übergriffen natürlich "das Ende der Fahnenstange erreicht" und ich hatte aufgrund vorheriger Erfahrungen große Angst vor einer Verstärkung des Mobbings); Angst vor den Einschränkungen im Korsett; Angst davor, komische Kleidung tragen zu müssen nachdem bisherige nicht passt (in der Tat, es wird einiges aussortiert werden müssen, man findet aber auch mit Korsett ansprechende Kleidung... mir ist aber klar, wie es auf einen Jugendlichen wirken kann, wenn z.B. die Jacke nicht mehr drüberpasst und beim Versuch, einen Rucksack aufzusetzen, alles verrutscht).
Viele Grüße
Raven