Wer von euch hat einen Behindertenausweis? Vor-u. Nachteile?

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NettiAngel
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Wer von euch hat einen Behindertenausweis? Vor-u. Nachteile?

Beitrag von NettiAngel »

Hallo ihr Lieben,

letztens war ich bei einem Skoliose Treffen einer Selbsthilfegruppe und da meinte die Sprecherin (zum wiederholten Male) ob ich denn einen Behindertenausweis hätte.
Sie meinte das jeder Skoliose ein Behindertenausweis zusteht. Ich bin aber persönlich der Meinung, das es mir mit meiner Krankheit, im Vergleich zu anderen Krankheiten, noch relativ gut geht.
Sie meinte aber das ich mit einem Behindertenausweis (ich finde schon dieses Wort hört sich schlimm an, oder?) sehr viel Vorteile bei der späteren Arbeitssuche hätte und ich würde auch beim Studium mehr Unterstützung erhaltun u.s.w.
Das hört sich ja alles toll an, aber wird das auch in der Realität umgesetzt? Ich will später (naja so lange ist das gar nicht mehr -> 2005 mach ich mein Abi *freu*) unbedingt in die Tourismus Branche oder zur Messe. Habe mir da schon einen Überblick geschafft und die Ausbildungs- bzw. Studienplätze scheinen ziemlich begrenzt zu sein. Wieso sollten denn Betriebe Leute mit einer Behinderung (egal welche) eher annehmen wie einen gesunden Menschen??? Das hört sich für mich alles ziemlich unlogisch an, findet ihr nicht auch?

Welche Vor- u. Nachteile hat solch ein Ausweis? Hat jemand von euch einen Ausweis und kann aus eigener Erfahrung berichten? Wieviel Prozente kriegen Skoliosen?

Eigentlich ist das alles ja gar kein Thema für mich, aber es interessiert mich trotzdem!

Schönen 1. Advent!
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Fiara
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Beitrag von Fiara »

Hallo,

ich frag mich auch, wieso man mit Skoliose einen Behindertenausweis bräuchte. Nach einer Operation bekommt man einen, das weiß ich, aber vergleichbar ist es nicht, meiner Meinung nach.
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BZebra
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Re: Wer von euch hat einen Behindertenausweis? Vor-u. Nachte

Beitrag von BZebra »

NettiAngel hat geschrieben:Wieso sollten denn Betriebe Leute mit einer Behinderung (egal welche) eher annehmen wie einen gesunden Menschen??? Das hört sich für mich alles ziemlich unlogisch an, findet ihr nicht auch?
Größere Firmen müssen ein Mindestkontingent an Behinderten einstellen. Es gibt da schon welche, bei denen Du mit Deiner "Pseudobehinderung" Vorteile hättest, aber erst mal finden. Um das gezielt einsetzen zu können brauchst Du dann schon Insiderinformationen, die Du in der Regel eigentlich nur dann hast, wenn Du selbst oder jemand in Deinem Bekanntenkreis dort arbeitet.
NettiAngel hat geschrieben:Welche Vor- u. Nachteile hat solch ein Ausweis? Hat jemand von euch einen Ausweis und kann aus eigener Erfahrung berichten? Wieviel Prozente kriegen Skoliosen?
Du bekommst auf begrenzte Zeit wegen des Korsetts 50%. Wenn Du kein Korsett mehr hast, dann kannst Du es vergessen, dann bekommst Du so gut wie nichts mehr weil Deine Skoliose viel zu gering ist.

Beim Studium, sprich wenn es um Studienplätze geht, da könntest Du evt. wirklich Vorteile haben. Es gibt an den Unis Behindertenbeauftragte, da müsstest Du Dich mal erkundigen was es für wieviel Prozent gibt. Nachteile entstehen Dir dadurch keine.

Ansonsten gibt es ab 50% Steuervorteile, was Dir jetzt herzlich wenig nützt, weil Du nicht arbeitest bzw. Du sicherlich nicht so viel verdienst, daß Du Lohnsteuer bezahlen müsstest. Ob Deine Eltern die Steuervorteile nutzen können weiß ich auch nicht, müsstest Du Dich auch mal erkundigen.

Ab 50% gibt es verbesserten Kündigungsschutz, was aber in der Regel nur bei älteren Leuten relevant ist. Als Neueinsteiger in den Beruf wirst Du wohl eher nicht die Behinderung angeben, und damit kannst du auch von dem Kündigungsschutz nicht profitieren.
Tomma
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Re: Wer von euch hat einen Behindertenausweis? Vor-u. Nachte

Beitrag von Tomma »

BZebra hat geschrieben:Beim Studium, sprich wenn es um Studienplätze geht, da könntest Du evt. wirklich Vorteile haben. Es gibt an den Unis Behindertenbeauftragte, da müsstest Du Dich mal erkundigen was es für wieviel Prozent gibt. Nachteile entstehen Dir dadurch keine.
Auch da brauchst du einen GdB (Grad der Behinderung) von mindestens 50, wenn ich mich recht entsinne. :rolleyes: Erst ab einem GdB von 50 greift das Schwerbehindertengesetz.

Ein bestimmter Anteil der Studienplätze ist für soziale Härtefälle "reserviert". Wenn du z. B. einen GdB von 50 hast, gehörst du zu den sozialen Härtefällen.

Gruß TOMMA - ein sozialer Härtefall :D
Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger. (Kurt Tucholsky)
thunerfee
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Beitrag von thunerfee »

Hallo,
Mittelständische Arbeitgeber werden eher abgeschreckt “Behinderte“ einzustellen, da sie sich i.d.R. nicht mit solchen Sachen auskennen und nicht abschätzen können wie sich dies auf Fehlzeiten auswirkt und auch sonst Nachteile bringen kann. Die Arbeitslosenquote ist ca. 1/3 höher.

Ab 50% würdest du als Schwerbehinderte gelten, die besonderen Kündigungsschutz, erhöhten Urlaubsanspruch, Vorrang bei Weiterbildung, besondere Ausstattung deines Arbeitsplatzes usw. hat.

Steuerlich wirkt sich eine Behinderung bei dir oder deinen Eltern aus (solange sie noch Kindergeld für dich bekommen), aber nicht in hohen Beträgen. Meistens kann steuerlich nur der Pauschalbetrag geltend gemacht werden. 50% bringen dann ca. 100,- bis 200,- EUR pro Jahr.

Der große Nachteil ist, dass du bei einer Nachfrage diesen bekannten Behinderungsgrad beim Einstellungsgespräch angeben musst. Dies ist so, weil du natürlich vom Gesetz besonderst geschützt werden sollst in Bezug auf die dir aufgetragenen Arbeiten, die du gegebenenfalls nur eingeschränkt ausführen kannst.

Besser ist also, erst Stelle suchen und dann Schwerbehindertenausweis beantragen und auf den Steuervorteil solange verzichten. Dies hat auch den Vorteil, dass du dann Zeit hast in der Ausbildung o.ä. zu zeigen, das du genauso wertvoll für die Firma bist wie die “nicht behinderten“.

Wie BZebra schon sagt, das gilt bei Beziehungen oder großen Firmen nicht unbedingt.

Vorteile bringt das wie schon vorher angesprochen bei Studienplätzen und auch in öffentlichen Dienst, da diese versuchen ihre Behinderten Quote (schreckliches Wort) möglichst zu erfüllen. In der Freien Wirtschaft wird die Quote meist nur durch behindert gewordene Arbeitnehmer abgedeckt, da die Firmen wie gesagt die Besonderheiten scheuen und lieber die mögliche Option des Freikaufens von der Verpflichtung wahrnehmen.

Weitere Infos und Statistiken findest du z.B unter

http://www.berlin.de/sengessozv/lageso/pdf/abc.pdf

http://www.versorgungsamt-stuttgart.de/




Grüße und einen Schönen Sonntag
Thomas
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NettiAngel
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Beitrag von NettiAngel »

Vielen Dank für eure schnellen Antworten.

Ich habe mir sowas in der Art schon gedacht.

Wieviel Grad Skoliose muss man eigentlich für 50% haben? Bestimmt schon ziemlich viel oder?
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Damien
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Beitrag von Damien »

Fiara hat geschrieben:Hallo,

ich frag mich auch, wieso man mit Skoliose einen Behindertenausweis bräuchte. Nach einer Operation bekommt man einen, das weiß ich, aber vergleichbar ist es nicht, meiner Meinung nach.
ich bin operiert und habe keinen Behindertenausweis. Es wurde mir bisher auch weder von den Orthopäden, noch von den Operateuren noch von den Krankengymnasten gesagt, dass ich einen bekommen müsste, die haben es nichtmal kurz erwähnt oder so. Wenn ich ehrlich bin, würde ich aber auch keinen haben wollen. Man hat meistens auch so schon genug psychische Probleme, mit der Tatsache, ein versteiftes Rückgrat zu haben, da würde ein Papier, auf dem man offiziell bestätigt bekommt, dass man schwerbehindert ist gerade noch fehlen ;( - meine Meinung dazu.

Ich denke, eine leichte Skoliose bekommt nur wenige Punkte, ein Operierter je nach Operationserfolg einige mehr, aber ob es für einen Grad 50 reicht, hm. Der Grad der Behinderung richtet sich meines Wissens nach nach der körperlichen Einschränkung. Ich glaube heutzutage muss man schon im Rollstuhl sitzen oder schwer gelähmt sein um einen Grad ab 50 zu bekommen.

Kann mich da aber auch täuschen - hab mich, wie gesagt, noch nicht sehr groß damit befasst.
Tu erst das Notwendige,
dann das Mögliche,
und plötzlich schaffst du das Unmögliche
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BZebra
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Beitrag von BZebra »

Damien hat geschrieben:Ich denke, eine leichte Skoliose bekommt nur wenige Punkte, ein Operierter je nach Operationserfolg einige mehr, aber ob es für einen Grad 50 reicht, hm. Der Grad der Behinderung richtet sich meines Wissens nach nach der körperlichen Einschränkung. Ich glaube heutzutage muss man schon im Rollstuhl sitzen oder schwer gelähmt sein um einen Grad ab 50 zu bekommen.
Also 50% soll es für ein Korsett und für eine Versteifung bis L4 oder tiefer geben. Ansonsten soll sich der Behinderungsgrad bei Operierten nach der verbleibenden Restkrümmung richten, d.h. 10° = 10%, 20° = 20% usw. Und für die nichtoperierten hab ichs vergessen, ich glaube aber unter 30° gibt es garnichts.
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Fiara
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Beitrag von Fiara »

@ Damien

Achso, ich hab das halt gesagt, weil meine Krankengymnastin mir das erzählt hat. Vielleicht meinte sie eher, dass man danach ein Recht darauf hat oder sowas :confused: Egal, ist ja nicht so wichtig.
Deine Meinung dazu teile ich auch - man braucht ja nicht dauernd daran erinnert zu werden, es ist auch so bestimmt nicht ganz leicht.

*schönen Gruß da lass
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Rechte bei einem GdB ab 80 %

Beitrag von Dalia »

Entschuldigung, ist wieder mal sehr lang...

Aufgrund diverser Probleme durch mein Syndrom habe ich einen Behindertenausweis und gelte als zu 100 % behindert.

Bisher hat mir der Ausweis eigentlich nur Vorteile gebracht, ABER ich war auch noch nie berufstätig, und genau da kann der Behindertenausweis zwar Türe öffnen, aber auch woanders verschließen.

Achtung, die Vorteile, die ich jetzt nenne, beziehen sich aber möglicherweise nur auf einen GdB ab 80 %. Es gibt einen Behindertenratgeber, der über die Rechte bei diversen Graden aufklärt, aber ich müsste nachschauen, wo man den herbekommt.

Ich kann mit meinen 100 % im Ausweis und einer dazugehörigen sogenannten Wertmarke für 60 EUR im Jahr frei mit allen Verkehrsmitteln im Nahverkehrsbereich fahren, also mit jedem Bus, jeder Tram, jeder S-Bahn, U-Bahn, in bestimmten Gebieten auch mit IR und RE (aber nicht mit EC, IC, ICE). Das gilt in ganz Deutschland.

Alternativ könnte ich auch auch zu 50 % von der Kfz-Steuer befreit werden, dann muss ich aber für öffentliche Verkehrsmittel ganz normal zahlen.

Außerdem habe ich aufgrund meiner besonderen Situation das Recht auf eine Begleitperson (das hat mit den 100 % nichts zu tun, sondern mit meinen Behinderungen); die darf diese Verkehrsmitteln mit mir zusammen ebenfalls kostenlos benutzen. Im ICE, IC usw. ist die Begleitperson ebenfalls frei, während der Behinderte den ganz normalen Fahrpreis zahlen muss. Immerhin kann er ab einem GdB von 80 % die Senioren-BahnCard zum ermäßigten Tarif kaufen (ab 27 Jahre geht bei der Bahn ja nix mehr mit Studententarif).

Man bekommt ermäßigten Eintritt (die Begleitperson oft auch) ins Kino, Schwimmbad usw., aber den kriegt man auch als Schüler, Student usw.

Im Ausland gilt der Ausweis natürlich nicht mehr, da zahlst du dann horrende Strafgebühren für's Schwarzfahren!

Außerdem müssen, wie schon gesagt, Firmen eine bestimmte Quote (meist 5 %) Behinderte einsetzen, ansonsten müssen sie eine Art "Strafgebühr" zahlen, ich glaube, das nennt man Sozialabgaben. Es gibt aber Firmen, die zahlen lieber Sozialabgaben, als Behinderte einzustellen. Viele Firmen wissen aber nicht, dass sie über das Integrationsamt finanzielle Mittel für den Behinderten bekommen können, z.B. einen sehbehindertengerechten PC für einen Blinden.

Mit dem Behindertenausweis konnte ich den Numerus Clausus bei der Bewerbung für meinen Studienplatz umgehen, aber ich war auch nur minimal schlechter als die erforderliche Note. Außerdem bekam ich dank des Ausweises sofort einen Platz im gewünschten Studentenwohnheim.

Das, was ich schreibe, sind aber nur die Rechte, die ich mit meinen 100 % hätte/habe; wie es bei weniger % aussieht, weiß ich nicht.

ABER, jetzt kommt das große Aber, ich stand noch nie im Beruf und kann deshalb nicht sagen, wie sich mein Ausweis darauf auswirken würde. Einmal habe ich mich für eine Arbeit beworben (die ich aber dann doch nicht annahm, weil ich mich anderweitig umorientiert hatte) und hätte den Platz bekommen, obwohl ich meinen GdB samt Behinderungen angegeben habe. Die Skoliose habe ich übrigens nicht erwähnt, da sie bei dieser Arbeit nicht von Bedeutung war.
Bei der Bewerbung kann dieser Wisch also möglicherweise ein Problem darstellen, es sei, du kannst dich gut verkaufen.
Manche Firmen scheuen auch davor, Behinderte wegen des Kündigungsschutzes einzustellen.

Meine Vorteile klingen paradiesisch, aber die Kosten und die Nachteile, die ich durch das Syndrom habe, sind alles andere als paradiesisch. Das, was ich einspare, ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber es ist eine gute Entschädigung.

Da man mir meine Behinderungen ansieht und anmerkt, lohnt es sich bei mir nicht, sie zu verleugnen, deshalb habe ich keine Probleme mit dem Ausweis. Ich habe ihn schon, seit ich klein bin, er ist für mich nichts Stigmatisierendes, und über das Wort "schwerbehindert" kann ich nur lachen. Steht ja nur auf dem Papier, während meine Umwelt bei mir über "leicht", "schwer" usw. unterschiedlicher Auffassung ist. :D

Dalia
Ich kann dem Leben nicht mehr Tage geben, aber dem Tag mehr Leben. (Bertolt Brecht)
meine Geschichte: Dalia wird Königin (Korsett für eine Oldie-Power-Skoliose)
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